AMERIKANISCHER SÜDWESTEN

Geschichte, Kultur, Mythos

Auf dem deutschsprachigen Buchmarkt erscheinen in den letzten Jahren gehäuft Publikationen, die die USA als Ganzes aus einer aktuellen europäischen Perspektive erörtern. Die politische, wirtschaftliche und militärische Rolle der USA steht im Interessensmittelpunkt dieser zumeist kritischen Bücher.

Angesichts der weltpolitischen Situation der Supermacht USA haben diese Gesamtdarstellungen zweifellos ihre Berechtigung, dennoch blenden sie zumeist gerade das aus, was dieses Land wesensmäßig für mich ausmacht: die bunte Vielfalt der Regionen und ihrer Bewohner, den Reichtum an regionaler und lokaler Geschichte, Literatur und Kultur. Über dieses andere, differenziertere Amerika wissen Europäer in der Regel wenig. Die paradoxe Situation ist, dass trotz der medialen Informationsflut die USA immer mehr zu einer unverstandenen, von Stereotypen und Vorurteilen überlagerten Nation werden und der Anti-Amerikanismus wächst. Hier möchte dieses Buch als erster Band einer amerikanischen Kulturgeschichte in Regionen ansetzen und einen Beitrag zum transatlantischen Verständnis leisten.


Der amerikanische Südwesten als gemeinsamer Kulturraum der Staaten New Mexico und Arizona sowie der südlichen Teile von Utah und Colorado bietet sich in diesem Zusammenhang in besonderem Maße an. Es ist jener Teil der USA, der auf Europäer schon immer die größte Faszination ausgeübt hat. Aber während sich deren Interesse hauptsächlich auf die spektakulären Gebirgs-, Canyon- und Wüstenlandschaften in den Nationalparks richtet und weniger auf kulturhistorische Phänomene, geht dieses Buch einen anderen Weg: Es legt den Schwerpunkt auf geschichtlich und kulturell besonders interessante Aspekte, Orte, Landschaften, die multikulturelle Vielfalt der Region. Es verbindet persönliche, auf Forschungsaufenthalten und Reisen gesammelten Erfahrungen mit den Ergebnissen der in den USA intensiv betriebenen, jedoch in Europa kaum bekannten Regional- und Lokalforschung. Der thematische Bogen spannt sich in 13 Kapiteln von den frühen Indianerkulturen der Anasazi, Hohokam und Hopi über die Pueblowelt New Mexicos, der Unterdrückung und Vertreibung der Apachen und Navajo bis zu den heutigen Reservationen; von den spanischen Entdeckern, Kolonisten und Missionaren des 16., 17. und 18. Jahrhunderts über die amerikanischen Trapper, Händler, Soldaten und Goldsucher im 19, Jahrhundert bis herauf zum industrialisierten und urbanisierten Sun Belt der Gegenwart. Die Spuren dieser vielschichtigen Vergangenheit, die Klippenhäuser der Anasazi, die zum Teil noch erhaltenen gebliebenen indianischen Pueblogemeinschaften, die spanischen Haziendas und Missionskirchen, der Santa Fe Trail, alte Trading Posts, verfallene Militärforts und Ghosttowns sowie die populäre Route 66 stehen im Mittelpunkt der Erörterungen. Hinzu treten „Geschichte(n)“ von großen historischen Persönlichkeiten: der spanische Explorer Francisco de Coronado, der Welschtiroler Jesuitenmissionar Pater Kino, der legendäre Frontiersmann Kit Carson, der Apachenrebell Geronimo sowie mythische Figuren der populären Kultur von Billy the Kid bis Wyatt Earp. Eine Darstellung der einflussreichen Künstlerkolonie von Taos in den 1920er Jahren mit dem Bemühen berühmter Persönlichkeiten wie D. H. Lawrence, Georgia O Keeffe, Willa Cather und Mary Austin um die Schaffung eines Südwestmythos sowie ein Aufriss der Literatur- und Filmgeschichte der Region runden das Buch ab.

Ziel des Buches ist, die Vielfalt der geschichtlichen und kulturellen Nahaufnahmen zu einem differenzierten Gesamtbild zusammenzufügen. Darüber hinaus sollen die zahlreichen Illustrationen und Farbbilder, eingestreute literarische Textzitate, Hinweise auf verwendete Quellen, ein ausführliches Register, ein Routenplan und eine Übersichtskarte nicht nur FachwissenschaftlerInnen, sondern allen kulturinteressierten LeserInnen Impulse vermitteln, sich noch intensiver mit dieser faszinierenden amerikanischen Region auseinanderzusetzen.

5 Gedanken zu “AMERIKANISCHER SÜDWESTEN

  1. Trotz ziemlicher Überlastung mit den vielfältigen Arbeiten, die bei einem Verleger nun mal anstehen, habe ich große Teile Ihres Buches gelesen. Ich bin einfach nicht mehr losgekommen davon. So sehr hat es mich interessiert bis fasziniert. Gratulation zu Ihrer Recherchearbeit und zu der Art, wie Sie die Ergebnisse davon, gekoppelt mit Ihren eigenen Erfahrungen vor Ort an mögliche Leser weitergeben.

  2. Hellers Buch beschäftigt sich mit den vier südwestlichsten Bundesstaaten der USA: New Mexico, Arizona, Utah und Colorado – dem Raum, wo verschiedenste Kulturen aufeinander prallten und ihn nachhaltig prägten. Ein weiter Bogen wird gespannt. Von den Anfängen der Besiedlung (Anasazi) bis zu den großen Straßen des 20. Jahrhunderts (Route 66), mit Abstechern zu besonders auffälligen Phänomenen der Vergangenheit (Geisterstädte) und der Gegenwart (Phoenix, Taos oder Peter Fonda in „Easy Rider“). Heller beleuchtet einzelne Schwerpunkte genau und intensiv und macht dabei ihre vielfältigen Verflechtungen sichtbar. Ein besonderes Verdienst Hellers ist es, moderne Mythenbildungen (Film, Literatur und bildende Kunst) aufzuspüren, plastisch darzustellen und all das zu dekonstruieren, was in unseren Köpfen so verklärt wird. So ist die typische Indianer-Sentimentalität, die so oft den Zugang von Europäern zu Indianern kennzeichnet, seine Sache nicht.
    Sehr anschaulich wird das Buch durch die vielen Fotos, Zeichnungen und Karten, die den Rezipientinnen zu neuen und differenzierteren Vorstellungen und Wahrnehmungen verhelfen. Heller setzt uns ins Bild, wortwörtlich und übertragen. Im Mittelteil mit den bunten Bildern schauen wir uns z.B. zwei Kachinas an, die holzgeschnitzten Schutzgötter der Hopi, fremd und faszinierend. Deren moderne Varianten entdecken wir auf einer der folgenden Seiten im Innenhof des Heard Museums, des wichtigsten Museums für die Hopi-Kunst. Wissenschaftliche Genauigkeit, Vielseitigkeit, Präzision und Eloquenz des Autors lassen sich anhand von vielen Beispielen zeigen. So vermittelt uns Heller Einsicht in die Geschichte der Hopi, ihre Wirtschaft, ihre traditionellen Feste, ihre Kunst, ihre Religion und vor allem ihre heutige Lebensweise, die die Tradition mit der Moderne zu verbinden weiß. Zudem findet Heller Raum für die philosophische Diskussion über den Zeitverlauf in der Sprache der Hopi und die berühmte Abhandlung dazu von Benjamin Lee Whorf. Das alles ohne Hast, gründlich und mit den entsprechenden Literaturhinweisen, die seine Aussagen belegen und die Interessierten auf die Spur weiterer Zeugnisse und Grundlagen führen.
    Im Kapitel „Der Südwesten in Literatur und Film“ fühlt sich Heller sichtlich zu Hause. Man erfährt den Anspruch des Literaturwissenschaftlers, die spürbare Freude des Vermittlers beim Versuch, bekannte und unbekannte Autoren, mit dem sie prägenden Zugang zu Land und Leuten, einem breiten Publikum vorzustellen. Fast nebenbei wird man beim Lesen auf spannende Schriftsteller aufmerksam, die man nicht gekannt hat. Dabei fällt der hohe Anteil an Frauen und Indigenen auf, die maßgeblich an der Konstruktion oder auch Dekonstruktion des Mythos Südwesten beteiligt waren und sind. Knapp schildert Heller scheinbar Nebensächliches, entsprechend umfangreich wichtige Strömungen und Einflüsse, die sich auch rückkoppelnd auswirken konnten, etwa in den bildenden Künsten und im Film (z.B. Robert Redfords Filmversion von John Nichols Roman „The Milagro Beanfield War“).
    Heller schreibt sachlich und engagiert. Das ist kein Widerspruch, sondern zeigt sein genaues Hinschauen, ein Abwägen der Informationsquellen, seine fundierte Kenntnis und daher auch Bewertung, sowie große Nähe zu seinen Themen und Objekten.

  3. Arno Hellers Buch ist fantastisch. Ich lese es langsam, aber wie einen spannenden Roman. Ich genieße es.

  4. Dieses Buch zu lesen, ist ein Vergnügen. Es ist klar geschrieben, informativ, übersichtlich nach der historischen Entwicklung von den Anasazi bis zum heutigen Phoenix. Die Farbfotos sind prachtvoll und die Karten sowie graphischen Zeichnungen informativ. Ich finde besonders die Darstellung der Pueblos und der franziskanischen Mission in New Mexico überaus aufschlussreich. Köstlich ist die Beschreibung, wie der Santa Fe Trail entstanden ist. Die persönlichen Reiseeindrücke von diesem weiten Gebiet machen das Buch lebendig. Dazu ist es durch die Fülle der herangezogenen Fachliteratur bestens belegt. Es ist insgesamt ein gelungenes, großartiges Werk.

  5. USA – Ein Land mit Kultur ? In Deutschland kennt man zurzeit fast nur den bösen Amerikaner, die globale Supermacht : Guantanamo, Bush, den Irak Krieg. Es gibt aber auch die andere Seite, und von der wissen wir zumeist sehr wenig. Wir kennen den Grand Canyon oder andere Naturparks, Wüstenbilder, Karl May, Marlboro-Land, Western Filme. Im Südwesten ziehen Rundreisen, Sport, Natur, oder Arrangements zum Wandern in dieser grandiosen Umgebung Besucher aus Europa an. Aber sonst?
    Ja, sonst gibt es noch viel. Ereignisse der letzten 30 bis 1500 Jahre haben Spuren hinterlassen. Viele Berichte von Orten, Landschaften und Menschen werden von Heller aufgegriffen, und langsam wird die Faszination verständlich, die der Region den Namen gibt: „Land der Verzauberung“ (land of enchantment). Heller, Professor der Universität Innsbruck, begibt sich auf die Suche, was zum Mythos der Region Südwesten– dem gemeinsamen Kulturraum der 4 – Corner Staaten Arizona, Colorado, New Mexico und Utah beigetragen hat.
    Der Autor ist Wissenschaftler. Er beschreibt nichts, was nicht belegt ist: ob alte Indianervölker, spanische Eroberer, Missionare, ob Revolverhelden, Rinderbarone, Trapper und Goldsucher, ob Filmemacher, Literaten, Künstler, er trifft eine geschickte Auswahl, und erzählt Geschichten. Geschichte(n) am Wegesrand sozusagen. Alles, was den Leser interessieren könnte bekommt er auch: Indianersiedlungen, Eisenbahnbau, Santa Fe-Trail, Silber- und Kupferminen, verlassene Städte und Militärstützpunkte, Gedenkstätten, Museen; ein Kaleidoskop der Besitznahme, Kampf und Vertreibung, regionaler Entwicklung, Ressourcenreichtum, Chance, Gefahr und deren Aufarbeitung in Literatur und Film, – alles, was die Regionalforschung entschlüsselt hat, wird für den Besucher aus Europa aufbereitet. Als Vademekum öffnet das Buch allen, die in diese Region reisen, die Augen für die mit den schönsten Touristenzielen verwobenen Geschichten und Mythen und lenkt den Blick auf die drei unterschiedlichen mentalen und spiritualen Kulturkreise, die sich in dieser Region berühren und überlagern: das indianische Denken und Fühlen, der hispano-mexikanische Katholizismus und der protestantisch kapitalistische Ansatz der Anglo-amerikaner.
    Es ist Hellers Verdienst und Konzept, Stereotypen und von Vorurteilen überlagerte Bilder Amerikas beiseite zu lassen und in deutscher Sprache eine amerikanische Kulturgeschichte wesentlicher Regionen der USA zu erarbeiten. Der „Südwesten“ ist gerade erschienen, der Band „Amerikanischer Nordwesten und Kalifornien“ soll 2008 folgen.
    Was ist bemerkenswert daran? Das Ergebnis ist kein Fachbuch im traditionellen Sinn, es schlägt populärwissenschaftlich eine Brücke für den Reisenden. Das Buch ist spannend. Das Buch ist nutzerfreundlich. Es ist leicht zu lesen, Originalzitate oder Inschriften werden vom Autor ins Deutsche übersetzt, es enthält kein „Denglisch“ (was der Rezensent dankbar anmerkt), setzt aber einen gewissen Bildungsstand im Umgang mit Fachbegriffen voraus und ersetzt nicht die zahllosen Reiseführer deutscher Verlage mit landschaftlichen Höhepunkten,
    Hotels und Restaurants etc. Der Band ist vielleicht ein „Zweitbuch“, ein Kulturreiseführer, aber auch da nicht einer der gängigen Art (22 Routenvorschläge auf drei Seiten ! ).
    Der Charme des Buches entwickelt sich beim Lesen, die Themen fesseln. Heller schreibt über eine Region so groß, wie Deutschland, und entscheidet sich, alles wegzulassen, was nicht direkt die kulturellen Zusammenhänge betrifft. So kann er sich trotz reichlicher Bebilderung auf 272 Seiten beschränken. Die Region wird zum Beispiel nur durch Klappentext und Karte im Einband beschrieben. Diese lakonische Art kommt dem Buch zugute. Die Folge ist aber auch, dass der Leser häufig versucht ist zum Lexikon zu greifen. Für die nächste Auflage sollte daher der Apparat vielleicht noch um ein Glossar mit ca. 30 – 40 Begriffen ergänzt werden.
    Der Rezensent liebt Bücher, die er genussvoll sowohl von vorne als auch von hinten durchblättern und lesen kann, auch dies leistet der Band. Die 13 Kapitel sind so aufgebaut, dass jedes für sich eine Geschichte ist. Fußnoten helfen, bei Bedarf das Thema durch die jedem Kapitel zugeordneten Literaturangaben zu vertiefen. Der weitere Apparat, Register und Abbildungsverzeichnis, Karte und Routenvorschläge erschließt den Text einfach und nutzerfreundlich. Die beiden Komponenten „Fach-Information“ mit Anekdoten und Details, und „Verortung“ – welches Museum, welche Gedenkstätte, wo sind die Ausgrabungen- verwebt der Autor unauffällig ineinander. Er deckt dabei viele Bereiche der Kultur ab, schade, dass regionalspezifische Musik nicht vorkommt.
    Hellers „Amerikanischer Südwesten“ ist gut recherchiert und aufbereitet als Sachbuch der Regionalgeschichte und Kulturführer. Es ist sicher kein politisches Buch! Und doch – vor der aktuellen Situation im Irak und in Afghanistan kommt man nach der Lektüre nicht umhin Parallelen zu ziehen: Die „Befreiung“ des amerikanischen Südwestens wurde trotz besserer Erfahrung nur mit militärischen Mitteln betrieben; das Volk der Navajo-Indianer hat 20 Jahre Widerstand geleistet, bis es mit großem Militäreinsatz total unterworfen werden konnte und heute in „Reservationen“ integriert lebt; die Apachen hielten mit 75 Kriegern (Terroristen?) über den Zeitraum von 19 Jahren 4000 amerikanische und mexikanische Kavalleriesoldaten in Trab, bis die Andersgläubigen dann von der Ordnungsmacht erledigt und als Volk vertrieben wurden. Methode und Philosophie des Militärs scheint sich bis heute nicht geändert zu haben: ……..Europa soll mehr Soldaten nach Kabul schicken….